Nach dem abenteuerlichen Kanufahren im Doubtful Sound (und ein paar Tagen Erholung in Christchurch) folgte der zweite grössere Abschnitt unserer Neuseeland-Ferien 2006: mit dem Fahrrad entlang der Küste einer der abgelegensten Gegenden der dünn besiedelten Südinsel eines nach europäischen Massstäben bereits spärlich bewohnten Landes: die wunderschöne und wilde, teilweise geradezu menschenleere Catlins Coast im Südosten Neuseelands – ein tolles Reiseerlebnis.
Dunedin
Mit der uns eigenen Raffinesse hatten wir den bestgeeigneten Ort ausgesucht, um diese erhebenden Momente voll auskosten zu können: Dunedin („Daniiden“ ausgesprochen). Diese Stadt ist dermassen steil gelegen, dass San Francisco dagegen wie Holland wirkt – die angeblich steilste Strasse der Welt ist hier zu finden, und die meisten anderen unterscheiden sich auch nur unwesentlich davon.
Trotzdem, und trotz dem subjektiv als eher kühl und sicher windig empfundenen Klimas scheint es vielen Leuten in Dunedin gut zu gefallen. Das mag aber auch mit der ausgesprochen schottischen Art liegen – nicht nur erinnern sowohl Stadt wie auch Klima stark an Schottland, auch die Strassennamen scheinen direkt einer Karte Edinburghs entnommen; der Stadtname soll gar gälisch für „Edinburgh“ sein.
Das Stadtbild ist ausgesprochen hübsch und wirkt sehr europäisch, was auch daran liegen mag, dass Dunedin in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts im Unterschied zu Christchurch die in Neuseeland immer akut drohende Erdbebengefahr nicht zum Anlass nahm, alle alten Gebäude durch sicherere, modernere zu ersetzen. Ein anderer Unterschied liegt darin, dass Dunedin eine alte Universitätsstadt ist – die älteste Neuseelands – und wohl auch aus diesem Grund irgendwie weniger kommerziell wirkt.
Passend zu dieser Stimmung würde ich das Café „Arc“ empfehlen, das am Morgen ausserordentlich gemütlich ist (am Abend sollen hier des öfteren Punkrock-konzerte stattfinden, was der Gemütlichkeit in meinen Augen etwas Abbruch zu tun droht), ein hübsches und leckeres Frühstückangebot und sehr gute und liebevoll gemachte Kaffees anbietet. Gratis Internet-anschluss gibt es dort auch – der kleine Apfelkleber an der Tür ist mir natürlich sogleich aufgefallen, und tatsächlich finden sich sympatischerweise 2 Apple OS X Computer, absolut vorsintflutliche Modelle mit lustig gekrümmten und vom Alter eingefärbten 14-Zoll Monitoren.
Unser Backpacker-Hotel in Dunedin war das «Ramsay Lodge» – wie so häufig in NZ war der Gästemix ausgesprochen eklektisch; besonders gefallen hat mir allerdings, nebst unserem schönen, vielleicht etwas engen und deswegen mit unserem Ramsch bis in die letzte Ecke angefüllten Zimmer, der nette und dennoch sympathisch bärbeissige Besitzer. Dieser erwies sich nämlich am Tag der Abfahrt als alter Matrose wie aus dem Bilderbuch (bärbeissig, wie gesagt, mit graumeliertem Bart, und auch sonst in allen Details genau dem Bild entsprechend), und wusste anhand der Wolken und der Winde genau zu wissen, wie sich das Wetter über die nächsten Tage entwickeln würde.
Taieri Mouth
Erster Stop nach einem mehrheitlich unter strahlender Sonne an vollkommen einsamen Stränden entlang gefahrenen ersten Tag, mit behutsamen 30 km klar als Aufwärmen zu klassieren, war das ehemalige Fischerstädchen Taieri Mouth, das inzwischen wohl nur noch knapp den Begriff Dorf verdient. Auf jeden Fall war in der Küche des schönen, aber doch eher einfachen Campground die einige Monate alte Zeitungsmeldung aus einem lokalen Blättchen aufgehängt, wonach Telecom New Zealand vor wenigen Jahren erst erstellte Telefonkabine im Ort wegen Nichtgebrauchs wieder zu entfernen drohte, was in einen Aufruf an die Community sowie an Durchreisende mündete, das Telefon in der Kabine erstens doch bitte zu benützen und zweitens nicht ausschliesslich Calling-Card Anrufe (bei denen Telecom NZ nur sehr wenig verdient) zu platzieren.
Wir waren zu diesem Zeitpunkt übrigens noch mehr als jetzt Neuseeland-Neulinge und urbane Zustände Gewohnte, sodass wir uns blindlings darauf verliessen, dass das lokale Motel oder aber der lokale kleine Shop für ein wohlverdientes Feierabendbier schon sorgen würden. Leider ist besagter lokale Shop mangels Kundschaft schon längst eingegangen, der nächste gegen 20 Kilometer entfernt, und im Motel gibts natürlich auch keine der Stimmung zuträgliche Getränke. Von sowas lassen sich aber die Kiwis keine Sekunde entmutigen – Jim, der auch auf dem Campingplatz wohnte, fragte, durch unser Schicksal offenbar bewegt, bei der sehr betagten Campground-Caretakerin nach einer Möglichkeit, ohne längere Fahrt ein Bier zu organisieren. Diese erinnerte sich dann daran, in ihrem Wohnwagen auch schon Bierdosen gesehen zu haben, und ging kurz entschlossen auf die Suche. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um 4 arg verstaubte, vier Jahre alte Bierdosen mit durchaus noch trinkbarem Inhalt, welche mit einiger Sicherheit von ihrem verstorbenen Ehemann stammten. Wir haben das Bier auf jeden Fall sehr genossen, und Jim sein wohlverdientes ebenfalls.
Balclutha
Nach dem doch eher gemütlichen ersten Tag hatte es zweite Etappe dann aber in sich. Einige Kilometer nach Taieri Mouth machten wir zum ersten Mal Bekanntschaft mit einer der berüchtigten Gravel Roads, einer Schotterstrasse. Nun muss man sich keineswegs darunter ein hübsches Strässlein im ländlichen Stil, bestehend hauptsächlich aus plattgedrückter, beinahe wie geteert erscheinende Erde mit vereinzelten Kieselabschnitten und somit nett zu befahren, vorstellen – diese Strassen bieten einen ganzen Strauss an an das Leben (zumindest des Bikefahrers) erschwerenden, manchmal das Fortkommen beinahe verunmöglichenden Abwechslungen an: tiefe Kiesbecken, in denen jedes (Fahr-)Rad unweigerlich versinkt; Schotterstrecken mit eben erst frisch zugespitzten, auf maximale Reifenzerstörungswirkung angelegte Steinchen und Steinen; Kurven, die vorallem an den üblicherweise mit dem Fahrrad benutzten Rändern dermassen steil angelegt sind, dass ausser grobstolligen Mountainbike-Reifen alles hilf- und steuerungslos abgleitet; und als im wahrsten Sinn des Wortes immer wiederkehrenden Höhepunkt, wogegen jeder Massage-Automat chancenlos verblasst: die Raupen-Fahrspuren, die sich anfühlen, als ob eine ganze Schweizer Panzer-Kompanie die Strasse mit helvetischer Präzision auf den Millimeter genau platt- beziehungsweise in ein Streifenmuster gewalzt hätte. Das Ergebnis stellt den festen Sitz jeder einzelnen Zahnplombe auf eine schwere Prüfung.
Die einzigen erheiternder Momente auf dieser sich durch die Landschaft windende Strecke waren die in vollkommener Einsamkeit plötzlich erscheinenden Warnschilder, dass hier ein Schulbus halten würde oder könnte, was manchmal schlicht eher surreal, auf jeden Fall sehr umwahrscheinlich schien.
Nach einem fettigen aber wohlverdienten Lunch im völlig langweiligen Städchen Milton geht der Weg eine Zeitlang auf dem Highway 1 weiter. Wie sich aber schnell herausstellte, ist dieser zwischen Dunedin und Balclutha (für Südinsel-Verhältnisse) sehr stark befahren – vor allem die äusserst knapp vorbei brausenden, zahlreichen Lastwagen belasten die Nerven und die Gehörgänge doch sehr. Wir empfehlen deshalb, in eine Seitenstrasse abzubiegen, welche Anfangs der alten Bahnlinie folgt, und den kleinen Umweg über Kaitangata in Kauf zu nehmen, zumal die Strasse sehr wenig befahren ist. Auf dem Fahrrad gilt es allerdings sich bewusst zu sein, dass Gegenwinde in Neuseeland häufig recht kräftig wehen – wir durften auch bergab teilweise kräftig in die Pedale treten, um nicht rückwärts wieder über einen soeben erklimmten Hügel geblasen zu werden. Dieser steife Gegenwind und ein auf der spassigen Schotterstrasse am Morgen leicht lädiertes Knie taten das ihre dazu – wir waren am Ende des zweiten Tages, nach etwas über 80 Kilometer Fahrt, beide komplett erledigt und ausgepumpt, und beschlossen, im Städchen Balclutha zwei Nächte zu bleiben, um die müden Glieder zu kurieren und die Moral etwas aufzupäppeln. Dabei bot der erste Abend zur Stimmungsbesserung herzlich wenig Anlass, waren doch um 9 Uhr ausnahmslos alle Restaurants, Bars, Pubs und Cafes geschlossen, und sich als einzige Alternative, zu Essbarem zu kommen, sich eine Art Tankstellenshop herausstellte – es gab dann, wenig berauschend, Fertigsuppe und Toastbrot unter Neonlicht.
Trotzdem stieg am folgenden Tag die Stimmung wieder etwas, auch ein wenig dank der wundervoll leckeren, im lokalen Kunsthandwerk-Lädelchen gekauften, von einer Bäuerin in der Umgebung gemachten Himbeer-Konfitüre… es braucht manchmal wirklich nicht viel. Schockiert waren wir aber, als wir bei einer Tasse „Flat White“ (1/3 Espresso mit 2/3 Milchschaum) in der Lokalzeitung die Titelseiten-Schlagzeile lesen mussten: hatte doch in Balclutha ein Sprayer sein Unwesen getrieben und eine Wand der Heilsarmee mit einem Tag besprüht! (Zum Glück las ich einige Tage später in einer anderen Zeitung die Kurznachricht, dass dieser Schlingel gefasst wurde).
Kaka Point / Nugget Point
Nach Balclutha beginnt sich dann das landschaftliche Bild zu ändern – aus flachem Landwirtschaftsgebiet wird langsam leicht hügeliges, wilderes und nur spärlich bewohntes Küstengebiet: man kommt in die Nähe der Catlins Coast, einem der ursprünglichsten Flecken Neuseelands. Plötzlich sieht man wieder das Meer, und ist in Kaka Point angekommen, einem hübsch gelegenen Örtchen von vielleicht zwei guten Dutzend Häusern und einem Restaurant/Pub/Bar. Nebst dem unzweifelhaft schönen Strand, der aber bei den vorherrschenden Temperaturen wenig erstaunlicherweise offenbar nur selten benutzt wird, bietet der Ort nicht viel. Ausser dem etwas schalen Geschmack des Trinkwassers, es wurde auch schon als „schimmlig“ oder „modrig“ bezeichnet (Einsatzzeichen für das offensichtliche Witzchen mit dem für unsere Ohren etwas unglücklichen Ortsnamen), und der sehr hübschen Pfanne mit Greenlip Mussels im Pub, gibt es aus Kaka Point auch nicht mehr viel zu berichten.
18 Kilometer von Kaka Point entfernt allerdings wartet ein spektakulärer Ort auf den Besucher: der vorgelagerte Leuchtturm in Nugget Point. Nicht nur ist die Sicht auf die umliegende Küste sensationell (zumindest bei gutem Wetter, was in den Catlins nicht selbstverständlich ist), auch die der Küste dramatisch und äusserst malerisch oder moderner gesagt photogen vorgelagerten Felsen bringen den Zeigefinger am Auslöser in arge Zuckungen.
Bei genauer Betrachtung – wir empfehlen aus eigener Erfahrung übrigens dringend, ein gutes und starkes Fernglas nach NZ mitzubringen – fällt einem auch auf, dass sich einige der ein paar hundert Meter tiefer unten an der Küste herumliegenden Steine eindeutig zu bewegen scheinen, und dass alle Fernglas-bewehrten anderen Touristen ganz aufgeregt in diese Richtung schauen und sich auf unterschiedliche dieser Punkte aufmerksam machen.
Es wäre nun allerdings gelogen, wenn hier behauptet würde, dass dies eine grosse Überraschung gewesen sein soll, denn erstens ist in jedem Touristenführer der Region erwähnt, dass an diesem Ort Robben, See-Löwen und -Elephanten mehr oder minder friedlich und einverträglich zusammenleben, und zweitens wird einem dies schon auf dem Hinweg zum Nugget Point unmissverständlich klar gemacht, wenn man einige hundert Meter über einem anderen derart besiedelten Felsen vorbeimarschiert – die Viecher stinken im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel! Trotzdem ist es, bevorzugterweise ausserhalb der Duftfahne, ganz putzig zuzuschauen, wie kleine, beinahe unsichtbare Pünktchen herumrobben (auch hier: im wahrsten Sinn des Wortes) und, wenn man genau hinhört, sogar hörbar sind, vor allem wenn sie sich streiten – was sie offenbar mehr oder weniger permanent und mit einiger Verve zu tun scheinen.
Etwas weiter zurück von der Leuchtturm-Plattform führt ein kleiner Fussweg hinunter zu einem kleinen Holzhüttchen oberhalb der «Roaring Bay» – wenn es gegen die Dämmerung zu geht, kann man mit etwas Glück von dort einige der äusserst seltenen «Yellow Eye Pinguins» beobachten, wie sie sich nach dem Fischfang im Südlichen Ozean an Land schwemmen lassen, um dort nach ausgiebigen Trocknen und Entsalzen des Gefieders die frisch angeknabberten Fische und sonstiges Meereszeugs zu ihrer im Gebüsch am Hang wartenden Brut zu bringen. Dabei watscheln sie dermassen herzergreifend tollpatschig, dass man sie grad knuddeln möchte, wären sie nicht ausgesprochen Menschenscheu. Offenbar ziehen sie es vor, die hungrigen Kleinen sich selbst zu überlassen und zurück ins Meer zu tauchen, wenn sie merken, dass sie beobachtet werden.