Am Ende unserer Neuseeland-Reise 2006 zog es uns zum wiederholten mal in eine der wundervollsten Städte der Welt: Sydney. Seit mich ein Buschauffeur dort vor einigen Jahren auf meinen Hinweis, ich sei schon länger nicht mehr hier gewesen, fröhlich anlachte und mit einem kräftigen «Welcome back, mate!» begrüsste, fühle ich mich hier ein ganz klein wenig zu Hause.
Türkisgrün schillert das Wasser unter dem strahlend blauen Himmel, mit Ferries, Segelschiffen, Motorjachten, Containerschiffen und gelegentlich sogar mit gigantischen Kreuzfahrtschiffen gesprengselt. Zwischen den auf dem warmen weichen Sand liegenden Füssen erblickt man, wie in der Ferne sich stolz der Wald der Wolkenkratzer des CBD, des Central Business Districts, erhebt. Vor wenigen Stunden hat man bei den Italienern einen Macchiato mit verführerischen Backwaren genossen, und freut sich bereits auf die kunstvoll zubereiteten Sashimis beim Japaner oder auf den Confit de Canard aux Cassoulettes bei den Franzosen am Abend. Damit in der Zwischenzeit nicht der Hunger plagt, kann man ein Dutzend meeresfrischer Austern an den Strand mitnehmen und dort genüsslich schlürfen.
Von meinem schönen Balkon aus (auf dem diese Zeilen teilweise geschrieben wurden, bevor die Sonne jeweils hinter den Häusern hervorzukommen und – dankenswerterweise – für den Rest des Tages den Bildschirm in eine graue Fläche ohne erkennbaren Inhalt zu verwandeln pflegte) sehe ich in Richtung Osten, wie bei «Fratelli Paradiso» über der Strasse die Tische vor dem Eingang fürs Frühstück vorbereitet werden und weiss, dass die in der hauseigenen Bäckerei frisch zubereiteten, sündhaften Leckereien der Pasticceria drinnen bereits unwiderstehlich süsse Duftwolken ausströmen. Auf der anderen Strassenseite bereitet sich die «Springs Espresso Bar» ebenfalls für den Ansturm hungriger Sydneysider vor. In Richtung Westen glitzern die Wolkenkratzer des Central Business District hinter dem botanischen Garten; vom oberen Stock aus könnte ich sogar die Harbour Bridge erspähen. Auf der Strasse drängelt sich der Verkehr (leider auch um etwa 5:30 morgens die Müllabfuhr, was bei der immer offenen Balkontür als vollwertiger Ersatz für den Wecker dient), zwischen den zwei Fahrrichtungen warten Bäume darauf, dass bald schon laut krächzend die weissen Papageien darin herumzuturnen und mit einer Kralle kunstvoll die Früchte zu ernten und essen beginnen.
Schon von der Lage her ist Sydney schwer zu schlagen: in der südlichen Hemisphäre (man kann also hingehen, wenn’s in Europa scheusslich und kalt ist); dabei nördlich genug, um mit einem mild-warmen subtropischen Klima locken zu können; rund um einen bildschönen Hafen gebaut, über den sich elegant die berühmte Harbour Bridge sowie weiter landeinwärts die Anzac Bridge schwingen, und natürlich nicht zuletzt mit Dutzenden von Weltklasse-Stränden, von Palm Beach im Norden über Whale, Dee Why, Manly, Bondi, Cogee bis Maroubra, nicht zu vergessen die kleineren und ruhigeren dazwischen wie Camp Cove, Tamarama und Bronte. Vermutlich auch infolge des die Hautbräunung (beziehungsweise, bei Anfängern und anderen Neuankömmlingen, Hautrötung) stark beschleunigenden Ozonlochs scheint der Himmel an den klaren Sommertagen tiefblau; entsprechend leuchtet auch das Meer türkis, und dazwischen blendet beinahe weiss der Sand.
Das Meer ist es auch, das die Temperaturen in Sydney allgemein in freundlichen Dimensionen hält: im Sommer wunderbar warm, manchmal sogar heiss (dieses Jahr sollen Temperaturen über 40 Grad Celsius zum Jahreswechsel die Leute zum Schwitzen gebracht haben), im Winter angenehm kühl, aber so gut wie nie wirklich kalt, und ungehobeltes Verhalten wie Schnee oder Eis sind beinahe unbekannt – so lässt sich’s leben.
War es vor zwanzig Jahren, wie man hört, noch so gut wie unmöglich, einen einigermassen trinkbaren Kaffee zu ergattern (üblich war damals das leicht bräunlich gefärbte Wässerchen, welches auch die Amerikaner in der Prä-Starbucks-Phase aus unerfindlichen Gründen als Kaffee anpriesen), so muss sich Sydney in dieser Hinsicht heutzutage keineswegs mehr verstecken – ich würde sogar sagen, dass sich wenn nicht alle, so doch die meisten Schweizer Gastrobetriebe beschämt ins Strafeckchen zurückziehen müssten, wenn man das hierzulande nach wie vor vorherrschende, unsägliche „Kaffee-Crème“ mit den wunderbaren, liebevoll zubereiteten Flat White, Latte, Macchiato und anderen Espresso vergleicht.
Die selbe Entwicklung ist auch den weiteren Ess- und Trinkgenüssen klar zugute gekommen. Im Umkreis von zwei Gehminuten von „meinem“ Balkon habe ich die Auswahl zwischen einem Italiener (den bereits erwähnten Fratelli Paradiso), drei zeitgenössisch australisch-pazifischen Küchen (Lotus, Yellow Bistro und Macleay Street Bistro), drei vorzüglichen Cafés, und einem stadtbekannten Thai-Restaurant. Reicht die Energie für einige Minuten mehr, so wird die Auswahl vollends unübersichtlich, von spektakulär gelegenen Edel-Italienern (Otto“s) und Fischrestaurants (Manta) an der Woolloomoolo-Wharf über Backpacker-Inder und Japaner sonder Zahl an der Victoria Street bis hin zu meinem persönlichen Lieblingsrestaurant in Sydney, dem wundervoll einfachen, kleinen, aber hervorragenden Fischrestaurant «Fishface» in Darlinghurst. Ich vermute, man könnte problemlos mehr als einen ganzen Monat hier residieren, dabei jeden Tag in einem anderen Lokal zu Mittag und Abend essen, und hätte danach immer noch nicht alle besucht, welche innert vielleicht 20 Fussminuten zu erreichen sind. Natürlich wären nach einem derartigen Selbstversuch die dabei entdeckten Weinkarten nicht einmal ansatzweise anprobiert, weshalb sich (mindestens) eine Verdoppelung des Testzeitraumes schon fast von alleine ergibt – auf einen ähnlichen Schluss sind übrigens auch schon andere gekommen.
Wenn man weiss, dass der «Sydney Fish Market» die nach Tokio weltweit zweitgrösste Fischbörse (nach angebotenen Arten von Fischen, Muscheln, Krebsen und sonstigem Meeresgefleuch) darstellt, staunt man auch nicht mehr so über die in den Wirtshäusern angebotene Qualität. Für Interessierte wird jeden Donnerstag eine etwa einstündige Tour „hinter die Kulissen“ angeboten (Versammlung 06:55 morgens beim Eingang zum Fish Market, neben dem Doyles Restaurant) – am spannendsten fand ich dabei, auf dem Verkaufsfloor in die diversen Kisten mit Fischen aller Art gucken zu können. Den Gratis-Kaffee danach fand ich dann allerdings etwas gewöhnungsbedürtig, denn der Geruch von frischem Meeresgetier verträgt sich doch nur bedingt mit einem Croissant.
Für diejenigen, welche das Meer nicht nur auf dem Teller haben wollen: mein Tipp bei schönem Wetter, also fast täglich, ist der Bus 378 zum Bronte beach. Nach der etwa halb- bis dreiviertel-stündigen Fahrt über die Oxford Street und am hässlichen Bondi Junction vorbei hat man beim Aussteigen an der Endstation die Möglichkeit, sich in einem der aufgereihten Cafés leiblich zu stärken, bevor man mit wenigen Schritten zum hübschen Sandstrand gelangt, um sich dort der sengenden Sonne und dem kühlen Nass hinzugeben. Eher weniger abenteuerlichen Naturen stehen dabei auch die schönen Bronte Rock Pools zur verfügung: frisches Meereswasser, aber ohne mehr oder minder gefährliche Strömungen, weisse Haie oder Bluebottle Quallen. An den ozeanseitigen Stränden empfiehlt es sich übrigens, immer den Anweisungen der berühmten Lifesaver Folge zu leisten – nicht nur, weil diese häufig eher kräftig gebaut und nicht unbedingt zimperlichen Charakters sind, sondern vor allem auch deswegen, weil das Wasser hier trügerisch sein kann: unsichtbare, starke Meeresströmungen haben schon öfters Dutzende von guten Schwimmern weggetrieben, sodass diese gerettet werden mussten; an einem einzigen Tag vor einigen Jahren sollen es sydneyweit gegen 150 gewesen sein. Manchmal werden infolge hohen Wellengangs die Flaggen, innerhalb derer man schwimmen gehen darf, gar nicht erst aufgestellt; es wäre aber eh nicht jedermanns Sache, sich den drei bis fünf Meter hoch türmenden Wellenungetümen in den Weg stellen zu wollen.
Keinesfalls zu verpassen ist danach der spektakuläre «Boardwalk» über Tamarama beach nach Bondi beach, von wo diverse Busse wieder in die Stadt zurückfahren, oder aber als Alternative der Weg über den alten Friedhof bis Cogee beach (ebenfalls mit Bussen und Verpflegungsmöglichkeiten). Nach einem derart verbrachten Tag schleichen sich bei mir immer wieder Zweifel ein, ob es bei den regelmässig erscheinenden Bestenlisten der „lebenswertesten Städte der Welt“ mit rechten Dingen zu- und hergehen kann, zumal Zürich dort immer wieder Platz 1 belegen soll.
Tipps in Sydney – Essen:
Wunderbare Fischküche im einfachen «Fishface», 132 Darlinghurst Road, Darlinghurst. Ausschliesslich BYO – kleiner Bottle Store im Pub gleich über die Strasse, ausgezeichnete Auswahl im Bottle Store an der Victoria Street (Liverpool Street hinunter, dann 3 Minuten Richtung Charing Cross/Potts Point).
Authentisch japanisch im tollen «Wasavie», 8 Heeley Street, Paddington (bei der „5 Ways“ Kreuzung, an der sich noch etwa ein halbes Dutzend weitere empfehlenswerte Lokale befinden). Früh hingehen: keine telefonischen Reservationen, grosse Popularität und nur 1 langer Tisch bedeuten ansonsten entweder Misserfolg oder mindestens sehr lange Wartezeiten – aber es lohnt sich! Weltklasse Sashimi – und das ist erst der Anfang.
Italianità von frühmorgens bis spätabends bei «Fratelli Paradiso». Wie bereits erwähnt: die Pasticceria ist umwerfend. Ein kräftiger Latte „to go“ plus einige der tagesfrischen Leckereien, eine kiloschwere Wochenend-Ausgabe oder eine Dienstags-Ausgabe (mit dem Good Living Magazin) des Sydney Morning Herald – das Ganze auf dem eigenen sonnigen (dank Nordlage) Balkon schräg gegenüber – so soll der Tag beginnen.
Französischer als in Paris im «Sel et Poivre», Victoria Street, Darlinghurst. Gute französische Hausmannskost wie Boudin (Blutwurst), Cassoulettes, Confit de Canard, Lapin, Crème brûlée. Die gesamte Belegschaft ist französisch – entsprechende Sprachkenntnisse beleben die (keineswegs gedämpfte) Atmosphäre zusätzlich.
Gute hausgemachte Gelati im Pompei“s, 126 Roscoe Street, in Bondi. Auch die dünnen und sparsam belegten Pizze sollen Klasse sein, wie uns ein Neu-Einheimischer zugeflüstert hat.
Leider nicht selbst ausprobiert: das legendäre «Tetsuyas». Wer es sich leisten kann und mag, und früh genug reserviert (einige Monate im Voraus), kann in etwa dies erwarten.
Übernachten:
Mit wunderbarem Balkon, aber sonst ohne viel Komfort, in der Challis Lodge, 21/23 Challis Avenue, Potts Point, Sydney. Hohe Räume, schöne alte Holzböden, Miniatur-Badezimmerchen mit tropfenden Hähnen, hässliche Inneneinrichtung, einfachste Küche mit Mikrowelle und Kühlschrank und keinerlei Service – nur für Leute ohne grosse Komfortansprüche. Unbedingt ein Balkonzimmer reservieren; vorteilhafte Wochenpreise (7 Nächte zum Preis von 5).
Gleich gegenüber befindet sich eines der scheinbar hübschesten Bed-and-breakfast von Sydney, das Simpsons — allerdings verfügt man dort über keinen sonnigen Balkon, dafür über Klimaanlage.
Frühstücken in der Nähe:
Springs Espresso Bar (Eierspeisen im Töpfchen!) an der Challis Avenue
Le petit Crème (Grosse Schale „Café au Lait“ bestellen) an der 118 Darlinghurst Road
Nest an der 165 Victoria Street (alles äusserst lecker – sich nicht vom wenig glamourösen Ort abhalten lassen)
Bills an der Liverpool Street (möglichst an der grossen Tisch in der Mitte sitzen; so viel wie möglich bestellen: ist alles ausgesprochen fein!)